Was ist die 80-20-Regel in der Fotografie?

Stell dir vor, du machst 100 Fotos. Nur 20 davon sind wirklich gut. Die anderen 80? Sieht gut aus, aber sie sagen nichts. Sie füllen nur dein Speicherkarte auf. Das ist die 80-20-Regel in der Fotografie - und sie hat nichts mit Kameraeinstellungen zu tun. Sie handelt von Fokus. Von Entscheidungen. Von dem, was wirklich zählt.

Was ist die 80-20-Regel wirklich?

Die 80-20-Regel, auch Pareto-Prinzip genannt, kommt ursprünglich aus der Wirtschaft. Vilfredo Pareto, ein italienischer Ökonom, hat 1896 festgestellt, dass 80 % der Landwirtschaftserträge in Italien von nur 20 % der Landbesitzer stammen. Seitdem wurde das Prinzip auf alles übertragen: 80 % der Software-Bugs kommen von 20 % des Codes. 80 % deiner Produktivität entsteht durch 20 % deiner Aufgaben.

In der Fotografie heißt das: 80 % deiner Bilder sind durchschnittlich. Sie sind korrekt belichtet, scharf, gut komponiert - aber sie sind vergesslich. Die anderen 20 %? Die sind stark. Sie halten den Blick fest. Sie lösen Emotionen aus. Sie bleiben im Gedächtnis. Und diese 20 % entstehen nicht durch Zufall. Sie entstehen durch bewusste Entscheidungen.

Wie wendest du die 80-20-Regel im Alltag an?

Denk nicht daran, mehr Fotos zu machen. Denk daran, besser zu fotografieren.

  • Bevor du auslöst: Was ist der eine Grund, warum du dieses Bild machst? Ist es das Licht? Die Stimmung? Der Ausdruck im Gesicht? Wenn du das nicht benennen kannst, mach das Bild nicht.
  • Wenn du mit einem Modell arbeitest: Konzentriere dich auf 2-3 Posen, die wirklich etwas sagen. Nicht auf 20, die alle gleich aussehen.
  • Beim Reisen: Wähle 2-3 Orte aus, die du wirklich erfassen willst. Nicht alle 10 Sehenswürdigkeiten abklappern.
  • Beim Bearbeiten: Lasse 80 % der Bilder weg. Halte nur die 20 %, die dich noch nach Wochen berühren.

Ein Fotograf aus Hamburg, den ich kenne, hat vor drei Jahren beschlossen, nur noch 10 Fotos pro Tag zu machen - und nur, wenn er wirklich etwas zu sagen hatte. Seine besten Arbeiten entstanden danach. Nicht weil er mehr geschossen hat, sondern weil er weniger, aber tiefer gearbeitet hat.

Warum funktioniert das?

Dein Gehirn kann nicht alles aufnehmen. Es filtert. Es sucht nach Mustern, nach Bedeutung, nach Emotion. Die meisten Fotos sind laut, aber leer. Sie haben Farbe, aber keine Seele. Die 80-20-Regel zwingt dich, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Wenn du 100 Fotos machst, verlierst du dich im Prozess. Du denkst an ISO, Blende, Belichtungszeit - und vergisst, warum du überhaupt fotografiert hast. Wenn du nur 20 Fotos machst, musst du dich fragen: Was will ich zeigen? Wer ist das? Was fühlt sich jetzt richtig an?

Das ist kein Trick. Das ist eine Haltung. Eine Disziplin. Und sie macht dich nicht zu einem besseren Techniker. Sie macht dich zu einem besseren Erzähler.

Ein Fotograf sitzt auf einer Bank und betrachtet hunderte gleichartige Fotos auf einem Bildschirm.

Was passiert, wenn du sie ignorierst?

Du wirst überflutet. Mit Bildern. Mit Daten. Mit Auswahl. Du scrollst durch tausende Fotos auf deiner Kamera - und findest nichts, das dich berührt. Du fragst dich: Warum fühle ich mich leer, obwohl ich so viel fotografiert habe?

Du hast nicht zu wenig fotografiert. Du hast zu viel ohne Sinn fotografiert.

Ein Fotograf, der 500 Fotos pro Tag macht, um „etwas Gutes“ zu finden, wird nie lernen, was wirklich gut ist. Er verlernt, zu sehen. Er verlernt, zu fühlen. Er verlernt, zu entscheiden.

Wie du die 80-20-Regel in deine Workflow integrierst

Es geht nicht darum, weniger zu fotografieren - es geht darum, bewusster zu fotografieren.

  1. Plan vor dem Auslösen: Stell dir vor, du hast nur drei Auslöser für den Tag. Was würdest du machen? Schreibe es auf. Bleib dabei.
  2. Warte auf den Moment: Nicht auf den perfekten Lichtmoment, sondern auf den Moment, in dem sich etwas verändert - ein Lächeln, eine Geste, ein Schatten, der sich verschiebt.
  3. Beende jede Session mit einer Frage: „Welches Bild bleibt mir im Kopf?“ Wenn du keine Antwort hast, hast du nicht fotografiert. Du hast nur gedrückt.
  4. Filter nach einer Woche: Öffne deine Fotos erst nach sieben Tagen. Was fällt dir noch auf? Was fühlt sich immer noch echt an? Lösche den Rest.

Ein Fotograf, der diese Regeln befolgt, braucht nicht mehr Ausrüstung. Er braucht nicht mehr Zeit. Er braucht nur mehr Klarheit.

Was ist der Unterschied zwischen einer guten und einer echten Aufnahme?

Eine gute Aufnahme ist technisch perfekt. Sie hat die richtige Belichtung, die richtige Schärfe, die richtige Komposition.

Eine echte Aufnahme lässt dich innehalten. Sie erinnert dich an einen Geruch. An eine Stimme. An eine Stille, die du nicht mehr vergisst.

Die 80-20-Regel hilft dir, echte Bilder zu machen - nicht nur gute.

Ein konzeptionelles Bild zeigt 80 banale Fotos neben 20 bedeutungsvollen, die wie Laternen leuchten.

Beispiel: Ein Tag mit der 80-20-Regel

Stell dir vor, du bist am Hamburger Hafen. Du hast deinen Kamera-Rucksack dabei. Du könntest 100 Fotos machen: Schiffe, Kräne, Leute, Wolken, Spiegelungen.

Stattdessen gehst du hin, setzt dich auf eine Bank. Beobachtest. Wartest. Nach einer Stunde siehst du eine alte Frau, die einen Brief an einen Seemann schreibt. Sie legt ihn in eine Flasche. Sie wirft ihn ins Wasser. Kein Lächeln. Kein Posieren. Nur diese eine Geste.

Du machst drei Fotos. Eines davon ist das richtige. Es ist nicht perfekt belichtet. Der Hintergrund ist etwas verschwommen. Aber es ist das einzige Bild, das du brauchst.

Das ist die 80-20-Regel.

Warum ist sie heute wichtiger denn je?

Wir leben in einer Zeit, in der jeder Fotos macht. Jeder postet. Jeder hat eine Kamera in der Tasche. Die Menge an Bildern ist unvorstellbar. Und trotzdem: Wenige bleiben haften.

Die 80-20-Regel ist dein Widerstand dagegen, nur ein weiterer Teil der Flut zu sein. Sie ist deine Möglichkeit, dich abzuheben. Nicht durch teure Objektive. Nicht durch Filters. Sondern durch Klarheit. Durch Intention. Durch Mut, weniger zu machen - aber dafür besser.

Wenn du heute Abend nach Hause kommst, öffne deine Kamera. Schaue dir deine letzten 100 Fotos an. Frag dich: Welche drei haben mich wirklich berührt? Wenn du mehr als drei findest, hast du nicht fotografiert. Du hast gesammelt.

Die 80-20-Regel ist kein Rat - sie ist eine Herausforderung

Es ist einfacher, 100 Fotos zu machen. Es ist schwerer, 20 zu machen - und dabei jeden Auslöser zu rechtfertigen.

Wenn du dich entscheidest, die 80-20-Regel zu leben, wirst du nicht mehr so viele Fotos haben. Aber du wirst mehr Bilder haben - die zählen.

Ist die 80-20-Regel nur für Profis?

Nein. Sie ist besonders wichtig für Anfänger, weil sie hilft, den Fokus zu finden. Profis nutzen sie, um ihre Arbeit zu verfeinern. Aber jeder, der Fotos macht, kann davon profitieren - egal ob mit Smartphone oder Spiegelreflexkamera.

Kann man die 80-20-Regel auch auf die Bildbearbeitung anwenden?

Absolut. Viele bearbeiten 80 % ihrer Fotos mit den gleichen Filtern - und verlieren dabei ihren Stil. Konzentriere dich auf 20 % der Bilder, die wirklich etwas zu sagen haben. Bearbeite diese sorgfältig. Lass den Rest weg. Qualität statt Quantität.

Was mache ich, wenn ich kein gutes Bild finde?

Dann hast du nicht fotografiert - du hast gedrückt. Gehe raus. Beobachte. Warte. Ein gutes Bild entsteht nicht durch Zufall. Es entsteht, wenn du bereit bist, dich auf einen Moment einzulassen. Manchmal braucht es Stunden. Manchmal braucht es Tage. Aber es kommt.

Ist die 80-20-Regel eine Art von Kompositionsregel wie die Drittelregel?

Nein. Die Drittelregel sagt dir, wo du den Gegenstand platzierst. Die 80-20-Regel sagt dir, ob du überhaupt fotografieren solltest. Sie ist nicht über die Technik, sondern über die Absicht. Sie fragt: Warum machst du dieses Bild? Und ist es wichtig genug, um es zu machen?

Wie lange dauert es, bis die 80-20-Regel wirkt?

Nach drei Wochen wirst du merken, dass du weniger Fotos machst - aber mehr davon liebst. Nach drei Monaten wirst du deine besten Arbeiten aus diesem Zeitraum herausgreifen und dich wundern: Warum habe ich früher so viel verschwendet? Es ist keine schnelle Lösung. Es ist eine Veränderung deiner Beziehung zur Fotografie.

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